Interview 19. November 2012 von

Allen Noren: „Wir denken, dass auch ein E-Book dem Käufer gehört“

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Allen Noren ist „Vice President Online and Digital Initiatives“ beim US-Fachbuchverlag O’Reilly Media. Auf der e:publish-Konferenz in Berlin sprach er mit Matthias Spielkamp über Kopierschutz bei E-Books – und wie Verlage die Chancen der Digitalisierung nutzen sollten.

Update: Dieser Artikel wurde korrigiert (s. Ende des Beitrags)

iRights.info: Leser können E-Books von O’Reilly verkaufen. Damit unterscheidet sich O’Reilly von fast allen anderen größeren Verlagen, die sagen, dass sie einen Kopierschutz verwenden müssen, da es sonst keinen Markt mehr gebe. Denn man kann ja eine Datei verkaufen und sie zugleich behalten. Glauben Sie, dass Sie Ihr Geschäftsmodel gefährden, indem Sie das erlauben?

Allen Noren: Zuerst einmal tun die Leute sowieso, was sie wollen. Wenn etwas digitalisiert wurde, ist es ein Leichtes, davon eine unbegrenzte Anzahl von Kopien zu machen. Alle unsere Bücher sind so schon längst überall auf der Welt frei erhältlich, auf einer Vielzahl von Filesharing-Websites. Wir wissen, dass wir das sowieso nicht verhindern können. Unsere Hauptkundschaft sind Hacker!

Aber man sollte das von einer anderen Seite aus betrachten. Vor ein paar Jahren sagte ein Verleger zu mir: „Ich wünschte, es würden Raubkopien meiner Bücher gemacht, denn das würde bedeuten, dass die Leute sie unbedingt lesen wollen.“

Wir sind der Ansicht, dass, wenn jemand uns ein Buch abgekauft hat, es seins ist. Und das ist mit E-Books nicht anders. Wir verkaufen keine Lizenzen. Das machen übrigens viele Verlage – Lizenzen mit allen möglichen Einschränkungen verkaufen. Wir denken, dass auch ein E-Book dem Käufer gehört. Auf den Informationsseiten zu unseren E-Books erklären wir, dass jemand, der ein E-Book weiterverkauft, es danach auch von seinem Rechner löschen soll.

Ob die Leute das dann tatsächlich machen oder nicht, wissen wir natürlich nicht. Ich glaube, die meisten Leute verkaufen ihre Bücher nicht weiter, und die meisten Leute verkaufen auch ihre E-Books nicht weiter, also glaube ich nicht, dass das eine Gefahr für unser Geschäftsmodell ist.

Es ist wichtig, einen Wert zu schaffen

iRights.info: Bei Fach- und Lehrbüchern gibt es aber einen großen Markt für gebrauchte Bücher – und in dem Feld sind Sie ja sehr aktiv.

Allen Noren: Unsere Bücher sind eher nicht für den Lehrbuchmarkt. Als ich aufs College ging, war ich sehr dankbar, dass es die Gebrauchtbücher gab, denn die konnte ich mir leisten. Ich glaube, Verleger, die auf diesem ausgefahrenen Gleis fahren und Bücher neu auflegen, die gar nicht neu aufgelegt werden müssten – zum Beispiel einfach ein neues Cover drum machen –, schützen ein Geschäftsmodel, das sich nicht mehr länger halten kann.

Solche Verleger sind nicht beliebt, sie haben nichts dafür getan, die Welt zu verbessern. Alles, was sie getan haben ist, Wege zu finden, den Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen. In unseren Augen ist es wichtig, einen Wert zu schaffen, und dann bekommt man auch etwas zurück. Und wenn das nicht geschieht, dann ist man sowieso im falschen Geschäft tätig.

iRights.info: Sie haben gesagt, dass einige Verlage versuchen, ihren Nutzern oder Lesern Lizenzen zu verkaufen. Aber es ist doch eher so, dass fast alle Verlage das versuchen – egal, ob Amazon, Apple mit iBooks, Buecher.de oder andere. Glauben Sie also nicht, dass das Zukunft hat?

Allen Noren: Das ist einfach nicht die Art, wie wir Geschäfte machen wollen. Wir sind eben nicht daran interessiert, Lizenzen zu verkaufen, die alle möglichen Einschränkungen mit sich bringen, nur um unser Geschäftsmodel zu sichern. Wenn wir einen Mehrwert schaffen und es den Menschen leicht machen, sich richtig zu entscheiden, dann wird unser Geschäft wachsen. Und das tut es ja auch.

Verlage als Plattform für Autoren

iRights.info: Sie sagen, dass Sie versuchen, eine Plattform für Ihre Autoren zu sein, dass also die Autoren so stark wie möglich davon profitieren, bei O’Reilly unter Vertrag zu sein. Ist das nicht zugleich eine Gefahr für Ihren Verlag – denn je erfolgreicher diese Plattformen sind, desto weniger brauchen die Autoren noch Ihren Verlag?

Allen Noren: Zum einen ist O’Reilly ein namhafter Verlag und eine bekannte Marke. Was würde passieren, wenn jemand ein O’Reilly-Buch schreibt? Wenn Sie ein O’Reilly-Buch schreiben, ist das mehr Wert als eine College-Ausbildung. Das habe ich von vielen Menschen gehört. Wenn Sie ein O’Reilly-Buch schreiben, sind Sie der Experte – oder sogar einer der weltbesten Experten – auf dem jeweiligen Gebiet. Und das können Sie wiederum als Visitenkarte benutzen, um viel Geld von Leuten zu verlangen oder eine Gehaltserhöhung in ihrem Job. Wir schätzen das jedenfalls so ein.

Wir räumen allerdings ein, dass es natürlich heute für Autoren immer einfacher wird, alles selbst in die Hand zu nehmen, sich selbst zu verlegen. Es ist an uns, eine bessere Plattform für sie zu schaffen, damit sie ihre Arbeit machen können. Bei O’Reilly ein Buch zu schreiben, bedeutet nicht nur die Schreibarbeit. Oft wird auch noch ein Video produziert, oder der Autor kann einen Vortrag auf einer unserer Konferenzen halten. Also ist es ähnlich wie bei den E-Books – wir schaffen einen Mehrwert, damit jemand für uns arbeitet und es nicht allein macht – oder für jemand anderen arbeitet.

iRights.info: O’Reilly ist mit dieser Strategie sehr erfolgreich. Kann das aber auch von kleineren Verlagen geleistet werden? Können diese Verlage Autoren das gleiche bieten wie O’Reilly? Oder bedeutet diese Entwicklung, dass nur noch große, massiv integrierte Verlage überleben werden?

Allen Noren: Ich glaube, es gibt viele kleine Verlagshäuser, die auf ihre Weise vielleicht sogar bessere Arbeit leisten können als wir. Sie können sich auf Marktnischen konzentrieren. Wegen unserer Größe ist das für uns schwieriger. Die Kleineren können mehr für die Autoren tun.

Wir kennen kleine Verlage, die ihren Autoren immer 50 Prozent Tantiemen zugestehen, da sie nur wenig Personal und eine günstige Kostenstruktur haben. Sie haben keine großen Marketingabteilungen, Produktionsteams oder große Firmengebäude. Sie sind klein und haben vielleicht nicht einmal mehr ein Büro. Die kleinen Verlage sind oft diejenigen, die uns zeigen, wo es lang geht. Auch wenn wir vielleicht vieles richtig machen, gibt es doch eine Menge kleiner Verlage, die auch viel richtig machen.

Und sie zeigen uns auch, dass unser Geschäftsmodel sich ändern muss. Auch wenn wir im Vergleich mit den ganz großen Verlagshäuser noch eher klein sind, sind wir doch größer als diese kleinen Nischenverlage. Wir haben nicht die gleiche Effizienz wie sie. Also ist mehr Effizienz innerhalb der Organisation etwas, das wir versuchen zu erreichen – so stromlinienförmig, schlank und profitabel wie möglich zu sein.

Das Google Book Settlement ist eine verpasste Chance

iRights.info: Eine Frage zu einem Thema, das überholt erscheint: Das Google Book Settlement und die Book Rights Registry. Die sind nicht zustande gekommen, weil die Einigung, die Google mit einem Verleger- und einem Autorenverband zum Einscannen von Büchern gefunden hatte, vom Gericht abgelehnt wurde. Die digitale Rechteverwaltung Book Rights Registry sollte die Chance bieten, völlig neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie sollte ein zentrales Register für Verwertungsrechte sein, bei dem ein Verlag sich beispielsweise die Rechte an einem Kapitel eines Buch einholen könnte, dieses Kapitel mit Kapiteln aus anderen Büchern kombinieren, die ganze Rechteverwaltung abwickeln, anschließend einen Preis festlegen, das Buch an die Endverbraucher verkaufen und mit allen Rechteinhabern automatisch die Abrechnung machen. Ist das eine verpasste Chance?

Allen Noren: Ja, ich denke, es ist eine verpasste Chance. Ich bin sicher kein Experte für das Google Book Settlement. Das ist ein sehr komplexes Thema, sehr facettenreich, also bleibe ich eher bei der Rechteverwaltung. Google hat eine Menge wirklich toller und ungewöhnlicher Dinge angestoßen; auf solche Ideen wäre keines der Verlagshäuser gekommen. Im Gegensatz zu unserer weitsichtigen Art, solche Dinge zu handhaben, wie unseren Lesern Inhalte zugänglich und relevant zu machen, war das ein weiteres Beispiel, wie Verlage versuchen, die Möglichkeiten einzuschränken, die sich bieten.

Es ist vergleichbar mit Softwarepatenten. Jemand hat ein Patent auf etwas und versucht alle anderen daran zu hindern, dieses weiterzuentwickeln. Es kommt mir so vor, als gebe es da eine Menge verpasster Gelegenheiten. Google hat nicht alles so gehandhabt, wie sie es vielleicht hätten tun sollen, da kann man beide Seiten kritisieren. Aber ich finde, das war eine großartige Chance.

Korrektur (19.11., 20.50 Uhr): Im ursprünglichen Artikel ist durch den Absatz “In Deutschland ist O’Reillys Geschäftspolitik allerdings eine andere als in den USA; hier werden die Bücher mit Kopierschutz verkauft” der Eindruck erweckt worden, E-Books aus dem O’Reilly -Verlag würden grundsätzlich mit Kopierschutz verkauft. Dem hatte Allen Noren nicht widersprochen, und es gibt Vertriebsplattformen, wie Buecher.de, auf denen durch den Hinweis “Sie benötigen vor dem Download eines kopiergeschützten eBooks eine autorisierte Adobe Digital Editions-Version (ADE)” der Eindruck entsteht, E-Books von O’Reilly würden dort mit Kopierschutz verkauft, denn auch PDFs können kopiergeschützt sein. Allerdings werden O’Reillys E-Books über die Website www.oReilly.de grundsätzlich DRM-frei angeboten, ebenso wie über wichtige Händler wie Ciando (wie in den Kommentaren bereits angemerkt) und offenbar auch bei buecher.de. Bestimmte Titel sind über Amazon.de erhältlich, wo E-Books grundsätzlich mit DRM versehen sind. Wir bedauern die missverständliche Darstellung. Matthias Spielkamp

2 Kommentare

  • 1 Corina Pahrmann am 19. Nov, 2012 um 18:14

    Lieber Herr Spielkamp,

    da haben Sie wohl falsch recherchiert: Alle eBooks, die auf der deutschen O’Reilly-Website http://www.oreilly.de verkauft werden, sind selbstverständlich und zu 100% DRM-frei. Das ist in Deutschland genau wie in den USA Unternehmenspolitik. Dies betrifft übrigens auch die Bücher, die man über unsere wichtigsten Vertriebspartner wie bspw. Ciando.com erhält.

    Beste Grüße
    Corina Pahrmann
    O’Reilly Verlag, Köln

  • 2 Wolke der Woche (23.11.12) | Wechselwetterwolken am 23. Nov, 2012 um 09:12

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