Überwachung 24. Juli 2013 von

Matthias Kettemann: „Menschenrechte gelten offline wie online“

Der Internet- und Völkerrechtler Matthias C. Kettemann konstatiert im Interview mit iRights.info Fortschritte in der weltweiten Diskussion zum Datenschutz. Beim Schutz der Menschenrechte im Netz seien internationale Gerichte zwar die oberste Instanz, für politisch wirksamer hält er indes „menschenrechtssensible Verbraucher und Unternehmen, die sich ihrer Verantwortung für die Menschenrechte bewusst sind“.

iRights.info: In Ihrem Weblog schreiben Sie, dass aufgrund der Enthüllungen zu PRISM, Tempora, NSA und GCHQ „die Welt über Online-Menschenrechte spreche“. Ist dies eine subjektive Wahrnehmung aus deutscher Perspektive – oder ist es wirklich so?

Matthias C. Kettemann: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat schon 2012 festgestellt, dass Menschenrechte, die offline gelten, auch online ihre Gültigkeit haben. Doch diese Erkenntnis hat sich noch nicht bei allen Bürgern und Regierungen durchgesetzt. Die Proteste gegen ACTA im letzten Jahr haben gezeigt, dass eine erhöhte Sensibilität für – auch vermutete – Menschenrechtsverletzungen online besteht.

Im Zusammenhang mit PRISM hat nun die internationale Ziviligesellschaft zusammengefunden und Menschenrechtslobbying betrieben. Statements des Europarates, der EU und von UN-Menschenrechtsbeauftragten befeuern die Diskussion. Vor PRISM waren Privatsphäre, Datenschutz und Meinungsäußerungsfreiheit im Internet und durch das Internet medial nicht präsent. Nun sind sie es. Das ist ein Fortschritt.

iRights.info: Hat sich im Verlauf der Debatte auch die Tonlage geändert?

Matthias C. Kettemann: Die Diskussion hat gezeigt, dass große Teile der kritischen Öffentlichkeit nicht mehr bereit sind, unter dem Deckmantel von „mehr Sicherheit“ menschenrechtliche Einschnitte gewärtigen zu müssen. Bei den Verhandlungen zum Datenaustausch zwischen den USA und EU stehen Menschenrechte nun im Zentrum.

iRights.info: Dann wäre es für diese Verhandlungen doch regelrecht kontraproduktiv, wenn Dienste wie NSA und GHCQ tatsächlich Menschenrechte verletzten – ist dies der Fall?

Matthias C. Kettemann: Das ist abstrakt schwer zu bestimmen. Grundsätzlich können fast alle Menschenrechte eingeschränkt werden. Der Artikel 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte schützt das Privatleben vor „willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen“ und gibt jedem einen Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe.

Nun argumentieren aber die Überwacherstaaten in der Regel, dass die Programme von nationalem Recht gedeckt sind. Damit ist natürlich noch nichts gesagt: Gerade nationale Gesetze können von internationalen Gerichten als mit dem internationalen Menschenrechtsbestand unvereinbar beurteilt werden.

Diese Funktion hat etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Aber ohne die Ausspäh-Programme, deren Ausmaß und deren Rechtsgrundlagen im Detail zu kennen, fällt eine endgültige Bewertung schwer. Es spricht einiges dafür, dass sie unverhältnismäßig sind. Also zwar ein legitimes Ziel verfolgen, aber im Hinblick auf dieses Ziel nicht verhältnismäßig sind, da es mildere, weniger eingriffsintensive Mittel gäbe.

iRights.info: Was heißt das jetzt bezogen auf die Menschenrechte?

Matthias C. Kettemann: Die USA und England könnten demnach internationale Verträge zum Schutz der Menschenrechte verletzt haben, wie den erwähnten UN-Pakt. Neben den UN-Menschenrechtspakten ist auch die Europäische Menschenrechts­konvention sowie – im Verhältnis zu England – das EU-Recht einschlägig. Aber auch derartige völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtungen zur Sicherung der Stabilität und Funktionalität des Internets sind erst im Entstehen begriffen. Allerdings scheinen die Abhöraktionen keine Auswirkungen darauf gehabt zu haben.

iRights.info: Wenn es auf konkrete Verletzungen von existierenden Menschenrechtsverträgen hinausliefe – wer könnte dann auf welchem Wege gegen wen klagen?

Matthias C. Kettemann: Betroffene Staaten, wie Deutschland, könnten England oder die USA vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verletzung des bereits mehrfach zitierten UN-Zivilpakts klagen. England hat diesem gegenüber eine generelle Unterwerfungserklärung abgegeben, die USA hingegen nicht. Diese müssten sich daher erst auf den Streitfall einlassen, was eher unwahrscheinlich ist. Deutschland könnte England auch vor dem Gerichtshof der Europäischen Union oder im Rahmen einer Staatenbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg belangen.

iRights.info: Wenn aber die Bundesregierung von sich aus keine solchen Staatsklagen vornimmt – hätte es Erfolgschancen, sie aufgrund etwaiger Verletzung ihrer Schutzpflichten gegenüber den Bürgern zu verklagen?

Matthias C. Kettemann: Nach der Europäischen Menschenrechts­konvention ist Deutschland verpflichtet, „allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen“ vor Verletzungen des Privat- und Familienlebens sowie der Meinungsfreiheit zu schützen. Dies umfasst auch positive Schutzpflichten. Allerdings sehe ich hier hinsichtlich PRISM und Tempora wenig Erfolgschancen. Interessanter wäre zunächst einmal eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Überwachungskompetenzen des BND.

iRights.info: Diese Prozesse scheinen ja politisch bereits in Gang gesetzt. Hat eigentlich das in Deutschland geltende Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Relevanz für die internationalen Verhandlungen?

Matthias C. Kettemann: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein deutsches Unikum. Es ist wichtig zur Bewusstseinsbildung. Generell sind deutsche Gerichte – der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht – Vorreiter bei der Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes in der Informationsgesellschaft.

International zeigen diese Rechte dergestalt Wirkung, dass die deutsche Bundesregierung sich für deren Schutz einsetzen muss und keine internationalen Verpflichtungen eingehen darf, die zu Verletzungen in Deutschland führen würden.

iRights.info: Müsste die deutsche Bundesregierung sich dann sich noch intensiver als bisher für neue internationale Datenschutzverträge einzusetzen, die sich explizit auf Menschenrechte berufen?

Matthias C. Kettemann: Die Diskussion um die Zukunft des Internets und der Internetregulierung ist im Fluss. Das merkt man auch, wenn es um die Ausarbeitung von Datenschutzabkommen geht. Wie schon der UN-Berichterstatter Frank La Rue in seinem letzten Bericht gefordert hat, müssen Meinungsäußerungsfreiheit und Privatsphäre immer mitgedacht und mitgeschützt werden, wenn Staaten Gesetze mit Internetbezug beschließen oder völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen. Menschenrechte gelten offline wie online.

iRights.info: Und wer muss und kann dann dafür sorgen, diese Menschenrechte zu verteidigen?

Matthias C. Kettemann: Geschützt werden können Menschenrechte national und international in letzter Instanz nur durch Gerichte. Viel effektiver aber ist der Schutz durch menschenrechtssensible Verbraucher und Unternehmen, die sich ihrer Verantwortung für die Menschenrechte bewusst sind. Googles „Transparency Report“ ist ein Beispiel guter Praxis, die andere IT-Unternehmen nachahmen.

Dr. Matthias C. Kettemann ist Universitätsassistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz. Er ist Co-Chair der Internet Rights and Principles Coalition und leitete die Initiative „Menschenrechte und Internet” der von Google initiierten Denkfabrik „Internet und Gesellschaft Collaboratory”. Er bloggt unter International Law and the Internet.

Lesen Sie zum Thema auch das Interview mit Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.

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