Nutzungsbasierte Werbung 27. September 2013 von

Kritik an der Selbstregulierung der Online-Werbewirtschaft

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Internet-Nutzer sollen das Erscheinen und die Aktivitäten „nutzungsbasierter Online-Werbung“ per Widerspruch steuern können. Datenschützer und Verbraucherverbände monieren das von der Werbewirtschaft angewandte Opt-out-Verfahren als verbraucherunfreundlich und nicht-EU-Richtlinien-konform.

„Nutzungsbasierte Werbung“ gibt es schon lange. Sie greift auf massenhaft gesammelte und analysierte Daten über das Surf-Verhalten breiter Nutzerschichten zurück, gleicht diese mit ebenfalls aus Suchanfragen und Website-Besuchen ermittelten Interessenprofilen des jeweiligen Nutzers ab, und spielt ihm dann dazu vermutlich passende Werbung in seinem Browser oder in der App ein. Wer beispielsweise häufig Informationen und Seiten zu Hollywood-Action-Filmen sucht oder besucht, könnte in seinem Browser früher oder später eine Banner- oder Pop-up-Werbung zur nächsten Kino-Premiere oder DVD-Veröffentlichung dieses Genres sehen. Durchaus nützlich, mitunter sehr willkommen, aber gewiss auch mit Bedacht zu handhaben, Stichworte: Cookies und Tracking.

Vergleichsweise neu ist, dass man das Erscheinen nutzungsbasierter Online-Werbung im Browser und deren Aktivitäten dahinter nun als Internet-Nutzer selbsttätig regeln und steuern können soll. Hierfür richtete die Online-Werbewirtschaft ein zentralisiertes, sogenanntes „Präferenzmanagementsystem“ ein, und zwar auf der Website „Your Online Choices“. Dort kann man einzelnen Werbe-Anbietern verbieten oder  erlauben, dass im Browser nutzungsbasierte oder auch „verhaltensorientierte“ Werbung eingespielt wird.

Dieses Selbstregulierungssystem ist in den USA und Europa schon länger installiert. Doch weder das als Markenzeichnen geschützte Piktogramm, das die nutzungsbasierte Online-Werbung – „Online Behavorial Advertising“, OBA – kennzeichnen soll, noch das daran geknüpfte Widerspruchsverfahren sind hier bekannt. Anfang August startete der vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft geleitete Deutsche Datenschutz Online-Rat, kurz DDOW, eine achtwöchige Aufklärungs- und Motivations-Kampagne.

Cookies im Fokus

Für das Sammeln und Weitergeben der Daten setzen die Online-Werber Kleinprogramme oder Textdateien ein: Cookies nisten sich hinter den Kulissen des Browsers ein und arbeiten dort unentwegt der nutzungsbasierten Werbung zu. Die konspirativen Daten-Kollekturen sind vielen Nutzern nicht geheuer oder nicht recht – gute Gründe für Daten- und Verbraucherschützer, mit Werbeverbänden und Politik um Gesetze und Ordnungen zu ringen. Und das sogar europaweit, beispielsweise die als „EU-Cookie-Richtlinie“ bekannte Direktive vom November 2009. Sie reguliert unter anderem den Einsatz und das Benehmen von Cookies für verhaltensbasierte Werbung und das Tracking.

Zur Beachtung: Heutzutage kann man als Nutzer in den gängigen Browsern Cookies von sogenannten „Drittanbietern“ generell den Zutritt verwehren, die digitalen Eckensteher also pauschal aussperren. Und genau das ist wiederum der Online-Werbung nicht recht. Sie betrachtet die Personalisierung der Werbung anhand (hochgerechneter) Interessenprofile als nutzwertig für alle Beteiligten.

„Online-Werbung ist eine unverzichtbare Finanzierungsgrundlage für vielfältige, gerade auch kostenlose Dienste- und Inhaltsangebote im Internet. Dabei ist die Schaltung von Werbemitteln in Online-Medien aufgrund der spezifischen Kommunikationsbedingungen des Internets in besonderer Weise auf die Beachtung von Zielgruppenpräferenzen angewiesen“, erklärt dazu Matthias Wahl, Sprecher des Deutschen Datenschutzrats Online-Werbung (DDOW). Die Werbeverbände bemühen sich aus nachvollziehbarem, geschäftlichem Interesse darum, die Beachtung und das angeknackste Vertrauen in die nutzungsbasierte Werbung wieder zu vergrößern.

So weisen ihre Vertreter gerne darauf hin, dass es bei nutzungsbasierter Werbung oft zu einem Missverständnis komme. Entgegen der vermeintlichen öffentlichen Meinung verwende diese Werbeform nur anonyme beziehungsweise pseudonyme Nutzungsdaten über besuchte Webseiten, nicht aber über die konkreten Nutzer. Gleichwohl scheint die Werbeindustrie dem Mistrauen vieler Verbraucher gegenüber der von Interessenprofilen geleiteten OBA-Werbung entgegenzukommen und entwickelte das als Selbstregulierungsmaßnahme der Branche bezeichnete „Präferenzmanagement“.

Streitpunkt Opt-out-Verfahren

An diesem Verfahren monieren Datenschützer und Verbraucherverbände, dass es sich um ein Opt-out-Verfahren handelt. „Opt-out“ meint, dass man als Verbraucher aktiv die entsprechende Widerspruchsseite aufsuchen muss, um dort nutzungsbasierter Werbung einzeln zu widersprechen, dem jeweiligen Werbe-Anbieter sozusagen (Browser-) also Hausverbot zu erteilen.

Weiterhin in der Kritik steht, dass das Widerspruchs-System über ein Cookie funktioniere, welches dann über das Hausverbot wacht. Doch dafür muss man das Cookie des Drittanbieters DDOW überhaupt zulassen. Ein für Verbraucher unfreundliches Konzept, meint der Datenschutz-Referent beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Florian Glatzner:

„Es müsste doch vielmehr so sein, dass die Werbe-Anbieter verpflichtet sind, sich beim Nutzer jeweils die Genehmigung dafür zu holen, ihm nutzungsbasierte Werbung präsentieren zu dürfen“, argumentiert er. „Außerdem muss ich mich bei diesem Verfahren als Verbraucher selbständig darum kümmern, ob sich neue Werbeanbieter dem Widerspruchs-System angeschlossen haben, und ich müsste dann auch bei diesen explizit widersprechen.“

Das größte Problem sei die pauschale Erlaubnis, so Glatzner. Vielen Verbrauchern sei nicht bewusst, dass sie der Nutzung ihrer Daten für verhaltensbezogene Werbung bereits dadurch zustimmen, dass sie inaktiv bleiben und sich keinen Opt-out-Cookie setzen lassen.

Nicht weniger deutlich äußert sich Alexander Dix, Datenschutzbeauftragter des Landes Berlin: „Beim DDOW-Prozedere handelt es sich eindeutig um ein Opt-out-Verfahren. Und damit genügt es nicht der EU-Cookie-Richtlinie. Diese sieht eindeutlig ein Opt-in-Verfahren vor.“ Dem will Bernd Nauen, Justitiar beim DDOW, gar nicht widersprechen: „Ja, in technischer Hinsicht handelt es sich um ein Opt-out-Prinzip.“

Allerdings, so Nauen, könne der Nutzer ja mehreren, dem OBA-Verfahren angeschlossenen Anbieter gleichzeitig das Opt-out erklären. „Unser System ermöglicht ihnen, gezielter und granularer zu entscheiden. Und das wollten viele Nutzer auch – die meisten begrüßen zielgruppenspezifische Werbung.“ Das DDOW-Verfahren sei ein praktikabler Mittelweg für die Nutzer, ihre „informationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen“, heißt es dazu auf der Website des Dachverbands der Deutschen Werbewirtschaft, ZAW.

Aufklärung über Cookies – per Cookie

Trotz dieser zur Schau getragenen Gewissheit über die Beliebtheit nutzungsbasierter Werbung startete der DDOW Anfang August seine Kampagne im Web. Als Erkennungszeichen dient das nebenstehende Piktogramm, das auf Bannern und Werbemotiven appliziert ist.

Allerdings basiert auch dieses Icon – wie der ganze OBA-Mechanismus – auf einem Drittanbieter-Cookie. Das aber sperren viele pauschal aus ihrem Browser aus. Wieviele der Nutzer dies praktizieren, dazu können weder die Online- und Werbeverbände noch Daten- oder Verbraucherschützer Zahlen vorlegen – auch wenn alle solche Erhebungen gerne hätten.

Laut Alexander Dix ist in den vergangenen Jahren aber die Sensibilität gegenüber Cookies und Online-Werbung generell gestiegen. Das hätte zuletzt die recht rege Diskussion um den Werbeblockierer „Adblock Plus“ und dessen gezielter Datensammelpraxis gezeigt. Daher sei ein relevanter Anteil an Cookie-Blockierern zu vermuten. Wenn diese aber das OBA-Icon gar nicht sehen, dann hieße das doch, so Dix, „dass dieser Personenkreis von der Aufklärung ausgeschlossen ist. Vermutlich will die Werbebranche ja diese Personen wieder zurückgewinnen, denn deren Einstellungen gehen ja indirekt zu Lasten der Werbewirtschaft.“

Kleines Symbol – mit welcher Wirkung?

Laut VZBV-Referent Glatzner wird das OBA-Piktogramm in der Regel zu klein gesetzt. Einer von ihm zitierten Studie aus den USA zufolge, wo OBA-Zeichen und Widerspruchsverfahren schon länger im Umlauf sind, hätten in den letzen Jahren gerade einmal ein halbes Prozent aller Internet-Nutzer das Icon angeklickt. „Das liegt auch daran, dass es meist in die Bannermotive integriert und dort schwer zu erkennen ist. Zudem gibt es eine Scheu, in ein Banner hinein zu klicken, weil nicht klar ist, dass man eine von der Werbung entkoppelte Meta-Information aktiviert und eben nicht die Werbung selbst anklickt, was man vielleicht gar nicht will“, so Glatzner.

Wieviele Verbraucher im Verlauf der acht Kampagnenwochen die Aufklärungsangebote beziehungsweise das Widerspruchsverfahren wahrgenommen haben, darüber soll eine vom DDOW beauftragte Evaluation Aufschluss bringen. Unabhängig davon steht für Datenschützer Dix fest, die Werbewirtschaft weiter zu fordern.

Dix sagt: „Die Artikel 29-Gruppe der europäischen Datenschutzbeauftragten hat sich dazu mehrfach geäußert und klargestellt, dass sie eine Opt-in-Lösung erwartet. Es gab ja Gespräche mit dem Geschäftsführer des ZAW, dabei stand zur Diskussion, dass die Werbewirtschaft Verhaltenskodizes entwickelt, die wir entsprechend prüfen können. Doch diese Kodizes sind uns bisher nicht vorgelegt worden.“

Selbstschutzmaßnahmen im Browser

Unabhängig davon, ob sich Datenschützer und Werbeindustrie irgendwann auf ein für beide Seiten akzeptables Prozedere einigen: Als Internetnutzer kann man sich durch Einstellungen im Browser gegen fremde Datensammler schützen. Neben der bereits erwähnten Aussperrung von Cookies von Drittanbietern und den Werbeanzeigen-Blockern wie Adblock gibt es seit einiger Zeit auch die Option, das Tracking generell zu verbieten.

Meist im Bereich „Datenschutz“ der Einstellungen untergebracht und als „Do not track“-Option bezeichnet, weist die Option jede besuchte Website an, auf die Verfolgung von Klicks und Eingaben des Nutzers zu verzichten. Das können die Website zwar technisch umgehen und es ist rechtlich nicht eindeutig geklärt, ob Website-Betreiber und Werbeanbieter gegen Datenschutzgesetze verstoßen, wenn sie sich nicht daran halten. Gleichwohl kann man so das Tracking generell verbieten oder zulassen, derzeit in den aktuellen Versionen der Browser Firefox, Internet Explorer, Safari, Chrome und Opera.

Wer sich dafür interessiert, mit wem eine besuchte Webseite im Hintergrund Daten austauscht, kann Browser-Erweiterungen oder spezielle Programme installieren. Sie machen jede einzelne Anfrage sichtbar und ermöglichen es, den Umgang damit genau zu steuern. Zu den bekannteren gehören Ghostery und die von Mozilla entwickelte Erweiterung „Collusion“. Allerdings steht „Ghostery“ unter dem Verdacht, dass es die mit ihm und von den Nutzern erteilten Zugriffsverbote und Einstellungen (heimlich) sammelt und veräußert, ähnlich wie Adblock-Plus.

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