Datenschutz in der Cloud 11. Januar 2013 von

Alexander Alvaro (FDP): „Die Diktatur-Erfahrung haben die Amerikaner nicht”

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Der Datenschutz dominiert die Debatte um das Cloud-Computing. Speziell der mögliche Datenzugriff von US-Behörden steht in der Kritik. Der liberale EU-Politiker Alexander Alvaro hält die Lage für dramatisch. Im Interview fordert er Rechtsschutz für die Betroffenen und warnt vor dem Missbrauch neuer Technologien. Das Internet habe seine Unschuld verloren.

Zur Person:

Alexander Alvaro (FDP) ist Mitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Außerdem ist Alvaro Mitglied im FDP-Präsidium. Schwerpunkte seiner Arbeit sind der Datenschutz und die Netzpolitik.

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iRights.info: Viele Nutzer fragen sich, welches Datenschutzrecht in der Cloud eigentlich gilt. Wie ist die Lage?

Alexander Alvaro: Heute ist tatsächlich nicht klar, welcher Datenschutz am Ende rechtswirksam greift, weil Unternehmen aus dem EU-Ausland beteiligt sind oder die Daten außerhalb der EU liegen. Daran arbeitet die EU mit der neuen Datenschutzgrundverordnung. Demnach müssen sich Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen EU-Bürgern anbieten, vollumfänglich unseren Datenschutzregeln unterwerfen. Das wird zur Grundbedingung. Schon heute sollten sich Verbraucher die Vertrags- und Nutzungs-Bedingungen der Cloud-Dienste genau durchlesen. Wenn da steht, dass Daten auf Anfrage an Behörden herausgegeben werden, würde ich mir schon überlegen, ob ich diesen Dienst nutze, und vor allem, welche Daten ich dort hinterlege. Als Firma würde ich auf keinen Fall sensible Daten bei den normalen Cloud-Diensten speichern.

iRights.info: Fraglich ist zum Beispiel, in welchem Ausmaß US-Behörden auf EU-Daten Zugriff haben. Ist das problematisch?

Alexander Alvaro:  Die Lage beim Datenaustausch mit den USA ist dramatisch. Wir bekommen von US-Behörden zum Beispiel keine Auskunft, wo und wie Daten von EU-Bürgern verarbeitet werden, was etwa mit den Bankdaten passiert, die wir dem US-Finanzministerium übermitteln. Wir wissen nicht, ob und zu welchem Zweck sie an andere Behörden weitergegeben werden.

“Der EU-Kommission scheint die Puste auszugehen”

iRights.info: Bestehen denn Gefahren des Datenmissbrauchs durch amerikanische Behörden?

Alexander Alvaro: Das ist zumindest nicht auszuschließen. Man wäre naiv, anzunehmen, der Datenzugriff und –Austausch geschehe immer nur in dem Ausmaß, wie wir uns das wünschen. Es gibt auch durchaus bedenkliche Gesetze wie den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), der ein hohes Maß an Überwachung durch US-Behörden erlaubt. Mit dem sogenannten Subpoena-Verfahren können US-Behörden zudem Unternehmen zwingen, Daten herauszugeben, wobei der Schutz europäischer Bürger nicht ganz klar geregelt ist. Die US-Administration hat offenbar das Bedürfnis, dass sie zur Gefahrenabwehr auch auf Twitter-Profile und Ähnliches zugreifen will. Da haben wir andere Vorstellungen.

iRights.info: Was wäre zu tun?

Alexander Alvaro: Leider kommt das Rahmenabkommen mit den USA nicht voran, dass diese Fragen klären und gemeinsame Standards für die staatliche Datenverarbeitung setzen soll. Ich würde mir wünschen, die USA hätten ein ähnlich starkes Interesse an diesem Rahmenabkommen wie wir. Der EU-Kommission scheint hier allerdings angesichts der amerikanischen Widerstände die Puste auszugehen. Da wären die europäischen Spitzenpolitiker gefragt,  das Thema im Gespräch mit US-Vertretern auf die Agenda zu setzen. Wenn wir zum Beispiel  über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU nachdenken, muss der Datenschutz mit auf den Tisch.

“Die Diktatur-Erfahrung haben die Amerikaner nicht”

iRights.info: US-Vertreter scheinen den europäischen Datenschutzbedenken nicht so recht folgen zu können. Ist der Kulturunterschied zu groß?

Alexander Alvaro: Meine Gespräche in den vergangenen Jahren haben überraschenderweise gezeigt, dass republikanische Kongressabgeordnete eher noch als demokratische ein großes Interesse am freien Internet und am Datenschutz haben und sich sehr dafür einsetzen. Auch in der amerikanischen Zivilgesellschaft gibt es viel Verständnis für unsere europäischen Anliegen. Insgesamt sehen wir natürlich, dass wir in Europa und den USA unterschiedliche Kulturen haben, was den Datenschutz und die Privatsphäre angeht. Das ist einfach zu erklären. In fast jedem EU-Land, von Rumänien bis Spanien, haben die Menschen die Erfahrung gemacht, dass Staaten Daten nutzen können, um ihre Bürger zu unterdrücken. Diese Diktatur-Erfahrung haben die Amerikaner nicht. Aber sie verstehen, warum die Europäer sensibler sind, wenn es um die staatliche Überwachung geht.

“Gefahr, neue Technologien zu missbrauchen”

iRghts.info: Wenn der staatliche Zugriff auf Daten diskutiert wird, ist schnell vom Anti-Terrorkampf und der nationalen Sicherheit die Rede. Unklar bleibt, welche Befugnisse Ermittler bei anderen Straftaten haben sollen. Müsste es hier Abstufungen geben?

Alexander Alvaro: Ein Katalog, welche Vergehen welchen Datenzugriff rechtfertigen, wäre sicherlich wünschenswert. Es gibt viele Situationen, in denen der Behördenzugriff gerechtfertigt sein kann, von der Kindesentführung bis zur organisierten Kriminalität. Auch wenn jemand zum Beispiel im Internet Stalking betreibt, muss man seine Identität klären können. Mein zentrales Anliegen ist, dass der Datenzugriff nicht ohne richterlichen Beschluss abläuft. Was nicht passieren darf, ist, dass Behörden automatisch auf Daten zugreifen und die Justiz dabei umgehen.

iRights.info: Sonst könnte das Internet zum großen Überwachungsapparat werden?

Alexander Alvaro: Die vielen Daten wecken bei Sicherheitsbehörden sicherlich große Begehrlichkeiten. Es besteht immer die Gefahr, neue Technologien zu missbrauchen. Wir sehen zum Beispiel hinter dem EU-Projekt INDECT die Idee, so viele Daten wie möglich zu bündeln, um ein umfassendes Profil über eine Person zu erstellen. Wir müssen definieren, wo die Grenzen sind. Letztlich ist aber der Bürger selbst gefordert. Er muss sich überlegen, was er ins Internet stellt und von sich preisgibt. Das Internet hat in Punkto Datenschutz seine Unschuld verloren. Vorsicht ist angebracht.

“Globales Datenschutzniveau mittelfristig nicht realistisch”

iRights.info: Der Bundesrat hat jüngst in einem Kommentar zur Cloud-Strategie der EU den Abschluss völkerrechtlicher Verträge ins Spiel gebracht, die „verbindliche Garantien für die im Rahmen von Cloud-Computing-Diensten verarbeiteten Daten schaffen“. Ist das der richtige Weg?

Alexander Alvaro: Sicherlich wäre ein völkerrechtlich abgesichertes globales Datenschutzniveau wünschenswert. Mittelfristig scheint mir das aber nicht realistisch. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist da schon erfolgversprechender. Hier kann die EU ein Niveau etablieren, das alle Unternehmen umsetzen müssen, die sich an EU-Bürger richten. Wir können hoffen, dass andere Länder sich ebenfalls daran orientieren. 

iRights.info: Würden Sie sagen, dass Deutschland nach heutiger Rechtslage davor gefeit ist, dass Behörden unbescholtene Bürger im Internet in übermäßiger oder missbräuchlicher Weise überwachen?

Alexander Alvaro: Selbstverständlich sind Behörden in Deutschland an Recht und Gesetz und die Verfassung gebunden. Jedes Gesetz, welches Überwachung ermöglicht, muss zudem den Anforderungen des Grundgesetzes genügen. Alles Handeln von Behörden unterliegt darüber hinaus der gerichtlichen Kontrolle. Inwiefern allerdings die zahlreichen Gesetze, die – insbesondere unter Rot-Grün und Schwarz-Rot – in den vergangenen Jahren verabschiedet wurden, in jedem Fall das verfassungsgemäße Übermaßverbot beachten oder ob hier gegengesteuert werden muss, ist regelmäßig Gegenstand rechtspolitischer Debatten. Die Freien Demokraten haben in Deutschland in der schwarz-gelben Bundesregierung die Trendwende eingeleitet und keine neuen Überwachungsgesetze verabschiedet. Vielmehr wurden die Bürgerrechte gestärkt, und zwar mit dem Stopp der Vorratsdatenspeicherung und der Internetsperren.

“Flickwerk unterschiedlicher Ideen”

iRights.info: Bis Ende des Jahres könnte die EU-Datenschutzgrundverordnung beschlossen werden. Was ist der FDP wichtig und wo erwarten Sie im Gesetzgebungsprozess Widerstände gegen den bisherigen Entwurf der Kommission?

Alexander Alvaro: Die FDP setzt sich für einen umfassenden Ansatz zum Datenschutz mit klar durchsetzbaren Standards ein. Der Vorschlag der Kommission war längst überfällig, stellte jedoch nicht mehr dar als ein Flickwerk unterschiedlicher Ideen. Wir Liberale haben besonders Bedenken bezüglich des von der Kommission vorgestellten “one size fits all“ – Modells und schlagen einen Ansatz vor, welcher Kontext und Risiko der zu verarbeitenden Daten in Betracht zieht. Dieser flexiblere Ansatz entspricht eher dem realen Nutzerverhalten und fehlt leider auch noch im kürzlich vorgestellten Report des Grünen Berichterstatters zur Verordnung.

Wir werden uns dementsprechend dafür einsetzen den jetzigen Vorschlag ausgewogener und deshalb nachhaltiger zu gestalten, für einen effektiven Datenschutz der den technischen und gesellschaftlichen Veränderungen des 21 Jahrhunderts gerecht wird.

“Datenschutz rasch erfassen können”

iRights.info: Ein Thema der Verordnung ist auch die Überwachung mittels Cookies und anderen Tracking-Methoden, die der Nutzer kaum oder gar nicht mitbekommt. Welche Regeln für die Nutzerüberwachung durch Unternehmen sollte es geben?

Alexander Alvaro: Grundsätzlich muss gelten, dass Daten über Nutzer nicht ohne ihre Einwilligung erhoben werden dürfen. Realistisch gesehen müssen Nutzer für eine selbstbestimmte Internetnutzung daher rasch erfassen können, wie mit ihren Daten umgegangen wird, ohne erst mehrere Seiten Kleingedrucktes lesen zu müssen. Möglich wäre dies etwa durch verpflichtende einheitliche iconbasierte Datenschutzerklärungen, aus der Kunden mit einem Blick ersehen können, ob ihre Daten beispielsweise unverschlüsselt gespeichert oder an Dritte weitergegeben werden.

Interview: Alexander Wragge

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2 Kommentare

  • 1 Rby am 11. Jan, 2013 um 21:56

    Warum torpediert der Alvaro dann die EU-Datenschutzreform und schlägt sich auf die Seite der US-Konzerne, die sich unverschämterweise in europäische vorhaben einmischen? Warum weist er nicht klar den Datenschutzgegnern die Tür? Bei Liberalen gehört die Furcht vor “dem Staat” zum Programm, aber die die Möwen sollen alle unsere Daten wegpicken dürfen, alle Internetfirmen mit unsere Daten ihre Profite einstreichen, und wenn amerikanische Botschaften gegen Deutschland spionieren, dann entlässt man bei der FDP nur den eigenen Büro-Mitarbeiter statt den Diplomaten ins Flugzeug nach Hause zu setzen. Die Weichei-Staatlichkeit der deutschen Liberalen ist Teil des Übels, die totale Verweichlichung staatlicher Autorität, so dass Konzerne sich mit uns erlauben, was sie wollen.

  • 2 DC am 8. Feb, 2013 um 17:45

    Lincoln Film ziegt uns was im folgendes Artikel geschrien ist : wir teilen nicht alle Ideen aus dem amaericanische Demokratie: freespech (IV amendment) Sprache ist bei uns nicht immer frei, Menschen haben recht dabei: Würde is mehr wert als Freiheit. Woher kommet es ? nicht nur aus der Diktaturen-Erfahrung:
    “there are, on the two sides of the Atlantic, two different cultures of
    privacy: between privacy as an aspect of dignity and privacy as an aspect of liberty.”
    James Q. Whitman (74 seiten, englisch)
    *The Two Western Cultures of Privacy: Dignity Versus Liberty*
    http://www.yalelawjournal.org/images/pdfs/246.pdf
    http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/06/03/deux-notions-d-egalite-devant-la-loi_1531497_3232.html
    *Deux notions d’égalité devant la loi* (französich)
    LEMONDE | 03.06.11 | 14h33 • Mis à jour le 03.06.11 | 15h08